Es ist für das Verständnis der Ereignisse in der heutigen Zeit wichtig sich
klar zu mache, daß die systematische Fehlinformation der Bevölkerung gerade in
Bezug auf Kriege eine lange Tradition hat. Ich bin vor Jahren auf dieses Buch
gestossen, welches später auch unter dem Titel "Absichtliche Lügen in
Kriegszeiten" auf deutsch erschienen ist.
Ponsonby war von 1930 - 1936 Oppositionsführer des
britischen Oberhauses, vorher (bis 1918) Abgeordneter der liberalen Partei. Er
hat nach dem 1. Weltkrieg zur britischen, aber auch deutschen, französischen,
US-amerikanischen und italienischen Greuelpropaganda recherchiert und seine
Ergebnisse in diesem Buch zusammengefasst.
Hier mal eine Kostprobe aus der Einleitung des Buches (S.25):
"Die Lüge ist eine anerkannte und äußerst nützliche Waffe im Kriege,
und jedes Land gebraucht sie bewußt, um das eigene Volk zu täuschen, Neutrale
zu gewinnen und den Feind irrezuführen. Die unwissende und unschuldige Masse in
jedem Lande bemerkt nicht, wie sie getäuscht wird, und wenn alles vorüber ist,
werden wohl hier und da Lügen aufgedeckt, aber dann ist schon alles Geschichte
und Vergangenheit und die gewünschte Wirkung erzielt, so daß sich niemand mehr
die Mühe macht, den Tatbestand zu ermitteln und die Wahrheit festzustellen.
Wir alle wissen, daß nicht nur in Kriegszeiten gelogen wird. Der Mensch, so
heißt es, ist kein "die Wahrheit redendes Tier", aber seine
Gewohnheit zu lügen ist längst nicht so außergewöhnlich wie seine erschreckende
Bereitwilligkeit zu glauben, und gerade wegen dieser Leichtgläubigkeit gedeiht
die Lüge, und es wird in Kriegszeiten ihre amtliche Organisation nicht genügend
erkannt. Und dabei ist die Täuschung ganzer Völker doch eine Angelegenheit, die
wahrlich nicht leicht genommen werden darf.
Es dient daher einer guten Sache, wenn während der Pause eines sogenannten
Friedens, wenn die Menschen leidenschaftsloser urteilen, warnend darauf
hingewiesen wird, daß sich die führenden Stellen in allen Ländern solcher
Mittel bedienen, ja bedienen müssen, um erstens sich selbst reinzuwaschen,
indem sie den Gegner als Verbrecher hinstellen, und dann, um die Volkswut zu
entflammen und sich dadurch genügend Soldaten für den Krieg zu sichern. Sie
können sich die Wahrheit nicht leisten. Manchmal ist auch zugegebenermaßen
nicht immer gleich bekannt, was wahr ist oder nicht.
Im Kriege ist der psychologische Faktor ebenso wichtig wie der militärische.
Die Moral der Zivilbevölkerung muß ebenso aufrechterhalten werden wie die der
Soldaten. Wenn die Kriegsämter, die Admiralität und das Luftfahrtministerium
für die militärische Seiten sorgen, so müssen Stellen
geschaffen werden, die sich mit den psychologischen Aufgaben befassen. Das Volk
darf niemals mutlos werden. Siege müssen daher übertrieben und Niederlagen,
wenn nicht verheimlicht, so doch auf jeden Fall verkleinert und die öffentliche
Meinung durch Propaganda dauern zu Entrüstung, Haß und Abscheu aufgepeitscht
werden [...].
[...]
Der Gebrauch der Lüge als Waffe ist in einem Lande, wo keine Wehrpflicht
besteht, notwendiger als in Ländern, wo die Männer der Nation automatisch zu
Heer, Marine oder Luftwaffe eingezogen werden. Die Gefühle des Volkes können so
durch Scheinideale aufgeputscht werden. Eine Art Massenhysterie greift um sich
und steigert sich, bis ihr schließlich auch nüchtern denkende Leute und
angesehene Zeitungen erliegen.
Wenn daher der Allgemeinheit eine Warnung erteilt wird, so ist sie vielleicht
beim nächsten Mal, wenn wieder die Wolken des Krieges am Horizont aufziehen,
besser auf der Hut und weniger geneigt, die Gerüchte und Erklärungen, die ihr
aufgetischt werden, als bare Münze zu nehmen. Sie sollten sich vor Augen halten,
daß eine Regierung, die sich entschlossen hat, den gefahren- und
schreckenvollen Weg des Krieges zu beschreiten von Anfang an gezwungen ist zu
ihrer Rechtfertigung eine einseitige Darstellung der Gründe zu geben, und daß
sie dem Gegner auch nicht ein Mindestmaß von Recht oder Berechtigung zugestehen
darf. Tatsachen müssen entstellt, entlastende Umstände verschwiegen und ein
Bild dargeboten werden, das durch seine brutale und rohe Färbung das unwissende
Volk davon überzeugt, daß seine Regierung ohne Schuld, seine Sache gerecht und
die unbestreitbare Bösartigkeit des Feindes über jeden Zweifel hinaus erwiesen
ist. Eine kurze Überlegung würde jedem vernünftigen Menschen sagen, daß eine
solch offensichtliche Einseitigkeit unmöglich der Wahrheit entsprechen kann.
Aber diese kurze Überlegung wird nicht gestattet. Die Lügen werden mit größter
Geschwindigkeit in Umlauf gesetzt. Die gedankenlose Masse nimmt sie auf und
überschwemmt mit ihnen die übrigen. Die Überfülle von Schwindel und Unsinn, die
im Krieg in allen Ländern im Namen der Vaterlandsliebe in Umlauf gebracht wird,
treibt den Anständigen, wenn sie wieder klar denken können, die Schamröte ins
Gesicht."
"So groß sind in den modernen Nationen die psychologischen Widerstände
gegen den Krieg, daß jeder Krieg als Verteidigungskrieg gegen einen drohenden,
blutdürstigen Angreifer erscheinen muß. Es darf keinen Zweifel darüber
bestehen, wen das Volk zu hassen hat. Der Krieg darf nicht auf ein Weltsystem,
das die internationalen Angelegenheiten verwaltet, zurückzuführen sein, auch
nicht auf die Dummheit und Böswilligkeit aller herrschenden Klassen sondern auf
die Raubgier des Feindes. Schuld und Schuldlosigkeit müssen geografisch
geschieden werden, und alle Schuld muß auf der anderen Seite der Grenze liegen.
Wenn der Propagandist den Haß des Volkes mobilisieren soll, muß er darauf
sehen, daß alles Verbreitung findet, was die alleinige Verantwortung des
Feindes bestätigt."
Harold Lasswell: Propaganda technique in the World War, 1927
erinnert durch den Forenten „Zitronenschalter“ bei Telepolis zum Thema "Was Sie über Aleppo hören, ist bestenfalls ein kleiner Teil der Wahrheit"